Ein (immer noch) typisches Auskunftsgespräch in einer Bibliothek:
Bibliothekar: „Hallo! Kann ich Ihnen helfen?“
Nutzerin: „Ja. Ich interessiere mich für Madness.“
Bibliothekar: „Madness?“
Nutzerin: „Und ich weiß nicht genau wo und wie ich anfangen soll zu suchen. Ein erster Überblick wäre toll. Es ist für mein erstes Forschungsprojekt.“
Bibliothekar: „Das ist interessant. Wir haben einen Überblick über Publikationen zum Thema „Madness“. Können Sie noch etwas spezifischer werden? Meinen Sie es im Zusammenhang mit Ärger oder Geisteserkrankung als psychische Erkrankung?“
Nutzerin: „Ich habe noch nicht sehr genau darüber nachgedacht. Ich bin nicht sicher.“
Bibliothekar: „Wissen Sie, wir haben das Dewey-Dezimal-Klassifikationssystem. Unter der Notation 326.2 können Sie schauen, ob was für Sie dabei ist.“
Nutzerin: „Dewey…, 326.2? Ich überlege es mir. Aber vielleicht kann ich auch im Katalog suchen?“
Bibliothekar: „Natürlich. Sie können im Katalog suchen. Aber wir haben auch ein lokales Repositorium. Es enthält Bücher, Artikel sind wiederum nicht im Katalog, sondern in elektronischen Zeitschriften oder in Datenbanken zu finden. Oder wenn Sie Glück haben im Primo Central Index, aber darin ist nicht alles enthalten.“
Nutzerin: „Ich denke darüber nach. Ich bin nicht sicher. Und was ist mit Forschungspublikationen? Das wäre auch interessant für mich.“
Bibliothekar: „All diese Publikationen, die wir haben sind Resultate von Forschungsprojekten.“
Nutzerin: „Wissen Sie, ich denke, dass es gut wäre, auf die Daten und Datensätze zugreifen zu können, die der Forschung zu Grunde liegen. Und ich suche eine Art Überblick über diese Daten.“
Bibliothekar: „Einen Überblick über Datensätze?“
Nutzerin: „Ja. Wo ich sehen kann, was es für Forschungsdaten gibt.“
Bibliothekar: „Wir haben nur Publikationen über die Forschungsergebnisse. In Form von Büchern und Artikeln.“
Nutzerin: „In Ordnung. Danke.“
Jane Stevenson (Archivarin) und Lukas Koster (Bibliothekssystem-Koordinator) verdeutlichen anhand dieses Auskunftsinterviews, wie eine typische Recherche durch einen Nutzer/eine Nutzerin ablaufen kann und auf welche Recherche-Probleme und Gegebenheiten die Nutzerinnen und Nutzer nach wie vor in Bibliotheken und Informationseinrichtungen stoßen. Sie sind dazu in einem Talk auf der ELAG 2013 (http://elag2013.org/1131-2) der Frage: “Are we, as information professionals, really designing our discovery systems to meet the expectations and search patterns of our users?” auf den Grund gegangen. Allein die Erschließung und Präsentation der Medien stellen viele Nutzerinnen und Nutzer vor eine große Hürde. Ziel muss es daher sein, die Anfrage/Suche schnell und leicht zu beantworten und dabei auch über den Tellerrand hinaus zu schauen. Das kann bedeuten, dass ein Nutzer bei seiner Suche auch auf andere Titel stößt, die ihn interessieren könnten oder dem Nutzer werden zusätzliche Informationen zum Medium (Inhaltsverzeichnis, Abstract, Autoreninformationen,…) angeboten. Und vor allem gilt es zu verhindern, dass Nutzerinnen und Nutzer frustriert aus der Bibliothek nach Hause gehen oder ihre Online-Recherche abbrechen, ohne ihr Rechercheziel erreicht zu haben. Moderne und innovative Bibliotheksportale machen es möglich, ein positives Nutzererlebnis zu erzeugen. Das veränderte Nutzerverhalten und zeitgemäß optimierte Portale und Kataloge von Bibliotheken laden ihre Nutzerinnen und Nutzer zunehmend ein, Inhalte zu entdecken, die sie dort bisher nicht vermutet haben.
Diese neue Qualität der Recherche wollen wir im künftigen KOBV-Portal gewährleisten. Und um das Nutzererlebnis deutlich zu verbessern, möchten wir noch mehr über unsere Nutzerinnen und Nutzer und ihr Rechercheverhalten erfahren. Deshalb hat das K2-Team verschiedene Anwendungsfälle erarbeitet, die die Anforderungen an die Umsetzung der Suche im neuen KOBV-Portal beschreiben. Wir simulieren damit verschiedene Recherchefälle unserer Nutzerinnen und Nutzer.
Doch was sind Anwendungsfälle eigentlich und was haben diese mit der Suche im KOBV-Portal zu tun? Ein Nutzerszenario beschreibt in diesem Zusammenhang eine oder mehrere Interaktionen zwischen Nutzerinnen und Nutzern und dem Portal, um ein bestimmtes Rechercheziel – in unserem Fall im KOBV-Portal – zu erreichen. Er beschreibt, was inhaltlich beim Versuch der Zielerreichung passieren kann. Nicht die technische Lösung steht im Vordergrund, sondern die Erwartungen unserer Nutzerinnen und Nutzer an das Portal. Ein typisches Nutzerszenario besteht aus einer Folge mehrerer zusammenhängender Aufgaben, die am Ende zu einem bestimmten (positivem) Ergebnis führen.
Sehen wir uns zum Beispiel das Nutzerszenario „Facettierung“, den wir für das neue KOBV-Portal definiert haben, näher an: hier ist das Ziel die flexible Treffereinschränkung mit sogenannten Facetten. Das Nutzerszenario umfasst den Auslöser (Nutzer), der zum Beispiel Literatur (online und Print) zu einem bestimmten Thema sucht. Es folgen die einzelnen Schritte (Stichworteingabe in einen einfachen Suchschlitz, weitere Einschränkung und Spezifizierung der Suche mittels Auswahl von Facetten) und die Bewertung des derzeitigen Standes des Systems in Bezug auf die Zielerreichung des jeweiligen Nutzerszenario. Das bedeutet, dass das Nutzerszenario Aussagen darüber trifft, inwieweit Systemanforderungen schon umgesetzt sind und der Nutzer sein Rechercheziel – Literatur zu einem bestimmten Thema zu finden – erreichen kann. Das Nutzerszenario zeigt aber nicht, welche technischen Erfordernisse nötig sind, um ihn zu erfüllen. Der Nutzer und das Ergebnis stehen im Vordergrund des jeweils beschriebenen Vorgangs. Eine Ergebniseingrenzung mit Hilfe von Facetten gilt als abgeschlossen, wenn die Nutzerin oder der Nutzer einen oder mehrere relevante Titel zum gesuchten Thema gefunden hat.
Ob die von uns erstellten Nutzerszenarien realistisch sind, erörtern wir gemeinsam mit einer, eigens für das neue KOBV-Portal ins Leben gerufenen bibliothekarischen Begleitgruppe. Außerdem führen Studierende der Humboldt-Universität zu Berlin im Rahmen eines Projektseminars ab Herbst 2013 Expertentests anhand der festgelegten Nutzerszenarien durch und bewerten diese anschließend ebenfalls hinsichtlich der Plausibilität. Diese Bewertungen der Nutzerszenarien bilden die Grundlage für Frontendspezifikationen des neuen KOBV-Portals, die in den nächsten Monaten vom K2-Team erarbeitet werden. So können wir vor allem die Anforderungen an das System aus Sicht der Nutzerinnen und Nutzer besser definieren und entsprechend anpassen.